Gerd Stein im LIT VERLAG

Ethnoliterarische Lesebücher Band I‑III

Alle drei Bände sind nun in einem schmucken Schuber zusammen erhältlich.

Die Ver­klä­rung von In­dia­nern, Ne­gern und Süd­see­insu­la­nern auf dem Hin­ter­grund der ko­lo­nia­len Greu­el. Vom 16. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band I

“Eine sehr klang­vol­le, har­mo­ni­sche Spra­che, wel­che sich aus etwa 400 oder 500 un­de­kli­nier­ba­ren und un­kon­ju­gier­ba­ren Wor­ten zu­sam­men­setzt […]. Eine edle Ein­fach­heit, wel­che die Mo­di­fi­ka­ti­on der Töne und lei­den­schaft­li­ches Ge­bär­den­spiel nicht aus­schließt, be­wahrt sie vor je­ner so präch­ti­gen Tau­to­lo­gie, wel­che wir den Reich­tum der Spra­che nen­nen und durch wel­che wir im La­by­rinth der Wor­te die Rein­heit der Wahr­neh­mun­gen und die Schnel­lig­keit des Ur­teils ein­bü­ßen. Der Ta­hitia­ner be­zeich­net in­des je­den Ge­gen­stand, so­bald er ihn be­merkt. Der­je­ni­ge, der spricht, und der­je­ni­ge, der zu­hört, sind stets in Über­ein­stim­mung.“
Phi­li­bert Com­mer­son (1769)

Gerd Stein, Die ed­len Wil­den. Die Ver­klä­rung von In­dia­nern, Ne­gern und Süd­see­insu­la­nern auf dem Hin­ter­grund der ko­lo­nia­len Greu­el. Vom 16. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band I, LIT Ver­lag 2021, 364 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14864‑3.
Alle drei Bän­de sind nun in ei­nem schmu­cken Schu­ber zu­sam­men er­hält­lich. Jetzt be­stel­len

Der Blick des Frem­den als ein Stil­mit­tel abend­län­di­scher Kul­tur­kri­tik. Von den Per­si­schen Brie­fen im 18. bis zu den Pa­pa­la­gi-Re­den des Süd­see­häupt­lings Tuiavii im 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band II

“Je mehr ich über das Le­ben der Eu­ro­pä­er nach­den­ke, des­to we­ni­ger Glück und Ver­nunft fin­de ich un­ter ih­nen. […] Ich hal­te es für un­mög­lich, daß sich dies je än­dern wird, es sei denn, Ihr woll­tet Euch dar­auf be­schrän­ken, ohne Dein und Mein zu le­ben, so wie wir es tun. Da­her be­haup­te ich, daß das, was Ihr Geld nennt, der Teu­fel al­ler Teu­fel ist, die Quel­le al­len Übels, die ewi­ge Ver­damm­nis der See­len und ein Grab für die Le­ben­den. In den Län­dern des Gel­des le­ben und kei­nen Scha­den an der See­le neh­men zu wol­len, be­deu­tet, sich in die Tie­fe ei­nes Sees zu stür­zen, um da­durch sein Le­ben zu ret­ten.“
Lou­is-Ar­mand de La­hon­tan (1703)

Gerd Stein, Exo­ten durch­schau­en Eu­ro­pa. Der Blick des Frem­den als ein Stil­mit­tel abend­län­di­scher Kul­tur­kri­tik. Von den Per­si­schen Brie­fen im 18. bis zu den Pa­pa­la­gi-Re­den des Süd­see­häupt­lings Tuiavii im 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band II, LIT Ver­lag 2021, 246 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14865‑0.
Alle drei Bän­de sind nun in ei­nem schmu­cken Schu­ber zu­sam­men er­hält­lich. Jetzt be­stel­len

Der Reiz, in ame­ri­ka­ni­schen Ur­wäl­dern, auf Süd­see­inseln oder im Ori­ent ein zi­vi­li­sa­ti­ons­fer­nes Le­ben zu füh­ren. Vom 18. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band III

“Eine sehr klang­vol­le, har­mo­ni­sche Spra­che, wel­che In das pa­tri­ar­cha­li­sche Zeit­al­ter möch­ten sich wohl vie­le zu­rück­wün­schen; wo die Men­schen schon so weit kul­ti­viert sind, dass die ein­zel­nen Fa­mi­li­en und Ge­schlech­ter schon so viel von Küns­ten wis­sen, um sich ih­ren Un­ter­halt zu si­chern, auch Be­grif­fe von Sitt­lich­keit und Recht und doch nicht die ver­wi­ckel­te Staats­ver­fas­sung ha­ben, die bei kul­ti­vier­ten Völ­kern so man­che Ver­an­las­sung zu Kla­gen gibt. Und wahr­schein­lich wird noch in die­sem Jahr­hun­dert man­cher Eu­ro­pä­er die Glück­se­lig­keit un­ter den Pa­tri­ar­chen von Ta­hi­ti oder auf den Pe­lew-In­seln su­chen, die er in Eu­ro­pa nicht fin­den konn­te.“
Jo­hann Karl Chris­toph Nach­ti­gal (1791)

Gerd Stein, Eu­ro­pa­mü­dig­keit und Ver­wil­de­rungs­wün­sche. Der Reiz, in ame­ri­ka­ni­schen Ur­wäl­dern, auf Süd­see­inseln oder im Ori­ent ein zi­vi­li­sa­ti­ons­fer­nes Le­ben zu füh­ren. Vom 18. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Eth­no­li­te­ra­ri­sche Le­se­bü­cher Band IIILIT Ver­lag 2021, 360 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14866‑7
Alle drei Bän­de sind nun in ei­nem schmu­cken Schu­ber zu­sam­men er­hält­lich. Jetzt be­stel­len

Gerd Stein, 1941 in Kas­sel ge­bo­ren, Stu­di­um in Mar­burg, Frei­burg, Ber­lin [Deutsch, Sport, Phi­lo­so­phie, Po­li­tik], 11 Jah­re Wis­sen­schaft­li­cher As­sis­tent bei den Ger­ma­nis­ten an der Frei­en Uni­ver­si­tät, Ha­bi­li­ta­ti­on, dann bis 2003 an ei­nem Gym­na­si­um in Zehlen­dorf tä­tig. Lebt seit 2016 wie­der in Kassel.

Vorschau — Band I

Galerie


Der Autor über die namenlosen Titelbilder

Band 1

Ein An­füh­rer von Un­alash­ka
Ein Be­richt über die 3. Süd­see­rei­se des Ja­mes Cook war be­reits 1781 druck­fer­tig, aber die zahl­rei­chen Zeich­nun­gen des Ex­pe­di­ti­ons­be­glei­ters John Web­ber la­ger­ten noch in den Werkstät­ten meh­re­rer be­rühm­ter Kup­fer­ste­cher. Die auf­wen­di­ge Her­stel­lung des groß­for­ma­ti­gen Bilder­atlas’ soll­te ers­te 1784 ab­ge­schlos­sen sein. So ließ ein Lon­do­ner Ver­le­ger, um für die Buch­aus­ga­be 1781 we­nigs­tens ei­nen Blick­fang mit ei­nem Fron­ti­spiz zu ha­ben, ei­nen an­ony­men Stich an­fer­ti­gen, der nun nicht auf Web­bers Zeich­nun­gen oder auf haut­na­hen Schil­de­run­gen, son­dern nur auf fol­gen­der Text­stel­le des Be­richts fu­ßen konn­te: »Ge­stalt und Far­be [der Un­alash­ka-In­dia­ner] wich we­ni­ger oder nichts von den Ein­woh­nern im Ge­or­gen Sun­de ab. Sie hat­ten aber ei­nen Ein­schnitt zwi­schen dem Kin­ne und der Un­ter­lip­pe, wo­durch sie ihre Zun­ge ste­cken konn­ten. Wenn man hier­zu noch die Zier­ra­ten von Kup­fer und Blech nimmt, wel­che sie in ih­ren Oh­ren und Na­sen tru­gen, so kann man sich kei­ne gro­tes­ke­ren Fi­gu­ren den­ken, als sie vor­stell­ten. De­mun­ge­ach­tet be­tru­gen sie sich höf­lich ge­gen uns.« ** Die kaum er­war­te­te freund­li­che Zu­wen­dung ab­stru­ser Ge­stal­ten wur­de nun vol­ler Phan­ta­sie ins Bild ge­setzt - ein VERWUNSCHENBILD des ed­len Wil­den.

** In: Ta­ge­buch ei­ner Ent­de­ckungs­rei­se nach der Süd­see in den Jah­ren 1776 bis 1780, un­ter An­führung des Ca­pi­ta­ins Cook, Cler­ke, Gore und King. Eine Über­set­zung nebst An­mer­kun­gen von Jo­hann Rein­hold Fors­ter, Ber­lin 1781, Ver­lag Hau­de und Spe­ner, S. 236. Noch im sel­ben Jahr er­schien in Ber­lin die­ser Rei­se­be­richt in deut­scher Spra­che. Dem Kupfer­stecher ge­lang da­bei eine na­he­zu un­un­ter­scheid­ba­re Ko­pie des eng­li­schen Sti­ches, in: Jour­nal of Cap­tain Cook’s Last Voya­ge to the Pa­ci­fic Oce­an, per­for­med in the Ye­ars 1776, 1777, 1778, 1779. Lon­don 1781, prin­ted by New­ber­ry (Ori­gi­nal­ti­tel des Fron­ti­spiz: Ou­nalasch­kan Chief)

Ein Hin­weis:
Die Ti­tel­sei­te der Ori­gi­nal­aus­ga­be des Fi­scher Ta­schen­buch Ver­la­ges von 1984 bleibt in der vor­lie­gen­den Neu­auf­la­ge un­ver­än­dert. In der Rei­he der Über­schrif­ten zwi­schen den drei Buch­tei­len [In­dia­ner, Ne­ger, Südsee­insulaner] wird es in der Neu­auf­la­ge von 2021 statt­des­sen hei­ßen: In­dia­ner, Schwar­ze, Südseeinsulaner.

OTEGOOWGOOW  –  Der schöns­te al­ler ver­klär­ten ed­len Wil­den?
[Ge­ho­be­nen Stan­des, durch Schüs­se von Ma­ri­ne-Sol­da­ten ver­wun­det und wohl auch noch unterwürfig]


»Kurz nach­dem Mr. Banks [Be­glei­ter des Ja­mes Cook] an Land ge­kom­men war, wäre er bei­na­he von ei­nem der Ein­ge­bo­re­nen fest­ge­nom­men wor­den, war aber glück­lich ent­kom­men. Die Ma­ri­ne-Sol­da­ten schos­sen auf sie; fünf gro­ße Ka­no­nen wur­den vom Schiff ab­ge­feu­ert und Ote­goow­goow, Sohn ei­nes ih­rer Häupt­lin­ge, wur­de am Ober­schen­kel ver­wun­det. Die ver­ängstigten Ein­ge­bo­re­nen flo­hen ei­lig zu ei­nem Hip­pa, wo­hin un­se­re Leu­te ih­nen folg­ten; und schließ­lich wur­den sie sehr un­ter­wür­fig. – Sie ga­ben uns ei­ni­ge gro­ße Ma­kre­len, die sehr de­li­kat wa­ren, und das war fast das ein­zi­ge, von dem sie uns et­was ab­zu­ge­ben be­reit waren.«

Band 2

Ein zi­vi­li­sier­ter Häupt­ling von Neu-Pom­mern
Neu­pom­mern ist die größ­te In­sel des sei­ner­zeit zu Deutsch-Neu­gui­nea ge­hö­ri­gen Bismarck­archipels. Sie wur­de im Jah­re 1700 von dem bri­ti­schen Frei­beu­ter Wil­liam Dam­pier ent­deckt und „Neu­bri­tan­ni­en‟ ge­nannt. 1884 wur­de der deut­sche Ko­lo­ni­al­be­am­te Gus­tav von Oert­zen kaiser­licher Kom­mis­sar für Neu­gui­nea. 1885 tauf­te er die In­sel in „Neu­pom­mern‟ um. 1887 fand in Ma­tu­pi die Flag­gen­his­sung und of­fi­zi­el­le In­be­sitz­nah­me des Ge­bie­tes statt.

Am 28. Juni 1919 un­ter­zeich­ne­te Deutsch­land wi­der Wil­len den Ver­sailler Frie­dens­ver­trag und er­klär­te da­durch den Ver­zicht auf sein über­see­isches Ko­lo­ni­al­reich. Mi­li­tä­risch hat­te Deutsch­land die Ko­lo­nien be­reits wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges an die Al­li­ier­ten ver­lo­ren. Der Friedens­vertrag schrieb die Ab­tre­tung der Ko­lo­nien völ­ker­rechts­gül­tig fest und be­grün­de­te dies ethisch mit “Deutsch­lands Ver­sa­gen auf dem Ge­bie­te der ko­lo­nia­len Zi­vi­li­sa­ti­on”. Die­ser Vor­wurf grün­de­te vor al­lem auf der Ge­walt, die deut­sche ko­lo­nia­le Ak­teu­re durch Krie­ge und Zwangs­ar­beit ge­gen Ein­wohner*innen der Ko­lo­nien ver­übt hat­ten. Als Be­weis dien­ten ins­be­son­de­re Stim­men von Bewohner*innen der Ko­lo­nien, die Groß­bri­tan­ni­en im “Blau­buch” von 1918 do­ku­men­tiert hat­te. Ab 1919 ge­hör­ten so­mit deut­sche Ko­lo­ni­al­ver­wal­tun­gen mit ent­spre­chen­den Po­li­zei- und Mi­li­tär­struk­tu­ren in Afri­ka und Asi­en der Ver­gan­gen­heit an. Der deut­sche Ko­lo­nia­lis­mus war da­mit aber nicht be­en­det. Staat­li­che Ko­lo­ni­al­po­li­tik, ko­lo­nia­les Den­ken und ko­lo­nia­le Wirtschafts­beziehungen zwi­schen Deutsch­land und den ko­lo­ni­al be­an­spruch­ten Ge­bie­ten dau­er­ten an. [Ca­ro­li­ne Au­tha­ler, aus: Po­li­tik und Zeit­ge­schich­te, 27.09.2019 (CC BY-NC-ND 3.0)]

Per­si­sche Brie­fe
Nach­dem Mon­tes­quieu 1721 sei­ne »Per­si­schen Brie­fe« (Band 2, S. 51 ff.) an­onym her­aus­ge­ge­ben hat­te, stand als­bald sei­ne Ver­fas­ser­schaft zwei­felsfrei fest, und es wur­de Auf­la­ge um Auf­la­ge ge­druckt. Der Mummen­schanz war so köst­lich und fand so rei­ßen­den Ab­satz, daß Nach­ah­mun­gen wie Pil­ze aus dem Bo­den schos­sen. »Mein Herr, schrei­ben Sie mir per­si­sche Brie­fe!« sol­len Pa­ri­ser Buch­händ­ler ih­ren da­ma­li­gen Skri­benten ge­ra­ten ha­ben. Mon­tes­quieus Werk aber blieb bis auf den heu­ti­gen Tag un­über­trof­fen. Die ro­man­haf­te Ver­knüp­fung der Brie­fe, die Us­bek und sein Freund Rica aus Frank­reich in ihre Hei­mat schi­cken und von dort er­hal­ten, füh­ren den Ab­so­lu­tis­mus Lud­wigs XIV. in sei­ner verachtens­werten Schran­ken­lo­sig­keit vor Au­gen, stel­len die Ab­ge­schmackt­heit, den Schwin­del, die Heu­che­lei und die Ei­tel­keit zahl­lo­ser ge­sell­schaft­lich ge­billigter Ver­hal­tens­wei­sen bloß und er­öff­nen zu­gleich fas­zi­nie­ren­de Ein­blicke in ori­en­ta­li­sche Lie­bes- und Herr­schafts­ver­hält­nis­se. Die Dar­stel­lung von Fri­vo­li­tät und Exo­tik läßt die Au­gen über­ge­hen, aber kei­nes­wegs wirbt Mon­tes­quieu für jene au­ßer­eu­ro­päi­sche Ge­gen­welt. An­ders als Lou­is-Ar­mand de La­hon­tan (Ge­sprä­che mit ei­nem Wil­den [1703], Band 2, S. 25 ff.) ver­wan­delt er den Le­ser nicht in ei­nen po­ten­ti­el­len Eu­ro­pa­flücht­ling, son­dern fes­selt ihn mit sei­ner plau­dern­den Kul­tur­sa­ti­re und den in­tim-bar­ba­ri­schen Nach­rich­ten aus der Welt des per­si­schen Ha­rems. Und als Voy­eur bleibt der Le­ser gleich­sam stand­ort­ge­bun­den eu­ro­pa­treu. Mon­tes­quieu brauch­te ihn ja auch noch, um sei­ne spä­te­re re­vo­lu­tio­nä­re Theo­rie von der Ge­wal­ten­tei­lung an den Mann zu brin­gen. So ist denn sei­ne ge­sam­te Ge­sell­schafts­kri­tik in den »Per­si­schen Brie­fen« wie auch in der Ab­hand­lung »Über den Geist der Ge­set­ze« we­sent­lich kon­kre­ter als die des La­hon­tan, weil sie sich das epo­chal er­reich­ba­re Ziel setz­te, wirk­sa­me An­stö­ße zu ge­ben, um das po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Sys­tem des Ab­so­lu­tis­mus zu überwinden.

Band 3

Ein Feu­er­län­der
Der Wunsch, auf ei­ner nied­ri­gen Stu­fe der Kul­tur zu le­ben, sich von der Zi­vi­li­sa­ti­on los­zu­sa­gen, scheint der Reiz und der Skan­dal der Eu­ro­pa­mü­dig­keit zu sein. J. K. C. Nach­ti­gal kam 1791 zu dem Er­geb­nis, dass es sich da­bei je­weils nur um gra­du­el­le Rück­stu­fungs­wün­sche han­de­le, denn zu den ganz Wil­den, die auf der al­ler­un­ters­ten Stu­fe der Kul­tur stün­den, wol­le of­fen­bar kei­ner ge­hen. ** 1 Und es war sei­ner­zeit kei­ne Fra­ge, dass in die­ser Hin­sicht die Feu­er­län­der über die größ­te Ab­schre­ckungs­kraft ver­füg­ten — »im­mer ein­zeln, ab­ge­son­dert, in ei­nem wüs­ten, von Fel­sen und Eis star­ren­den Lan­de mit ei­nem stie­ren, schüch­ter­nen Blick um­her­ir­rend«. Der all­ge­mei­ne Ab­scheu vor den Feu­er­län­dern re­sul­tier­te aus Bou­gain­vil­les und dann vor al­lem aus Ge­org Fors­ters Be­schreibung, die er 1774 auf der Rück­fahrt von der 2. Süd­see­rei­se des Ja­mes Cook an­fer­tig­te. Sie »hat­ten di­cke gro­ße Köp­fe, brei­te Ge­sich­ter, sehr plat­te Na­sen und die Ba­cken­kno­chen un­ter den Au­gen sehr her­vor­ra­gend; die Au­gen selbst wa­ren von brau­ner Far­be, aber klein und matt, das Haar schwarz, ganz ge­ra­de, mit Tran ein­ge­schmiert und hing ih­nen wild und zot­tig um den Kopf. An­statt des Bar­tes stan­den ei­ni­ge ein­zel­ne Bors­ten auf dem Kinn, und von der Nase bis in das häß­li­che, stets of­fe­ne Maul war ein be­stän­dig flie­ßen­der Ka­nal vor­han­den. Die­se Züge mach­ten zu­sam­men­ge­nom­men das voll­stän­digs­te und re­dends­te Bild von dem tie­fen Elend aus, wor­in dies un­glück­li­che Ge­schlecht von Men­schen da­hin­lebt.« Nun muss es wun­dern, dass der auf­ge­klär­te Ge­org Fors­ter solch mas­si­ve Schluss­fol­ge­run­gen aus der doch kei­nes­wegs skanda­lösen Fak­ten­la­ge zog. Zwar wa­ren auch sie kläg­lich ge­klei­det, nah­men un­an­ge­nehm rie­chen­des Fleisch zu sich und pfleg­ten an­schei­nend kei­ner­lei Kon­ver­sa­ti­on, aber auch die­se Sach­ver­hal­te dürf­ten für die schar­fe Ver­ur­tei­lung kei­nen hin­rei­chen­den Grund ab­ge­ben. Um das Rät­sel zu lö­sen, bleibt nur der fol­gen­de Punkt: »Sie schie­nen un­se­re Über­le­gen­heit und un­se­re Vor­zü­ge gar nicht zu füh­len, denn sie be­zeig­ten nicht ein ein­zi­ges Mal und nicht mit der ge­rings­ten Ge­bär­de die Be­wun­de­rung, wel­che das Schiff und alle dar­in vor­han­de­nen gro­ßen und merk­wür­di­gen Ge­gen­stän­de bei al­len üb­ri­gen Wil­den zu er­re­gen pfleg­ten.« ** 2 Das kränk­te und wur­de nicht ver­zie­hen. Hät­ten sie doch we­nigs­tens ver­ständ­nis­los ge­gafft! So aber gab es am Ende des 18. Jahr­hun­derts kei­nen Zwei­fel über den Wert der Feu­er­län­der: »Dem Tie­re nä­her und mit­hin un­glück­se­li­ger kann aber wohl kein Mensch sein«. ** 3 Ei­nes die­ser We­sen wur­de von Wil­liam Hod­ges, dem Schiffs­zeich­ner des Ja­mes Cook, por­trä­tiert, und J. Ba­si­re fer­tig­te den Kup­fer­stich an.

Er wur­de als Ti­tel­bild für den 3. Band ge­wählt, weil das Kon­ter­fei des tie­rischs­ten Men­schen ge­gen die de­nun­zia­to­ri­schen Ab­sich­ten sei­ner Ur­he­ber zu re­bel­lie­ren scheint, denn es wirkt gar nicht der­ma­ßen ab­sto­ßend und wi­der­lich, er­heischt eher eine ge­wis­se Sym­pa­thie und er­laubt so­gar die Spe­ku­la­ti­on, dass sich Ver­wil­de­rungs­wün­sche auch dort noch un­ter­grün­dig durch­zeichnen, wo die ei­gent­li­che Mit­tei­lung nur in dem Schreck­bild ei­ner un­kul­ti­vier­ten Vi­sa­ge be­stehen soll. Ge­org Fors­ter war mit der Zeich­nung als ei­nem Do­ku­ment mensch­li­cher Schmach zu­frie­den und fand sie in die­sem Sin­ne »cha­rak­te­ris­tisch«.** 4 Zwar war er im all­ge­mei­nen zu ei­ner re­la­ti­vie­ren­den Be­trach­tung der Ei­gen­ar­ten der Völ­ker be­reit, und er brach­te bei wei­tem nicht das üb­li­che Maß an eu­ro­zen­tri­scher Ar­ro­ganz auf, aber Feu­er­land war ihm zu­viel: »Was die ärgs­te So­phis­te­rei auch je zum Vor­teil des ur­sprüng­lich wil­den Le­bens – im Ge­gen­satz zur bür­ger­li­chen Ver­fas­sung – vor­brin­gen mag, so braucht man sich doch ein­zig und al­lei­ne die hilf­lo­se, bedau­ernswerte Si­tua­ti­on die­ser Pes­ser­äh [Feu­er­län­der] vor­zu­stel­len, um in­nig über­zeugt zu wer­den, dass wir bei un­se­rer ge­sit­te­ten Ver­fas­sung un­end­lich glück­li­cher sind!«** 5

** 1 sie­he S. 13 und S. 144 ff. im 3. Band der ETHNOLITERARISCHEN LESEBÜCHER

** 2 — 5 G. Fors­ters Wer­ke, Hrsg. G. Stei­ner, Ber­lin 1966, Aka­de­mie-Ver­lag, Bd. 3 (S. 381 – 383)

In deut­li­cher Dif­fe­renz, gleich­wohl mit ei­ner ge­wis­sen Ähn­lich­keit, wur­de auf dem Rück­de­ckel des 3. Ban­des der ETHNOLITERARI­SCHEN LESEBÜCHER eine an­de­re Zeich­nung von Wil­liam Hod­ges plat­ziert: King O‑Too, ein Herr­scher­por­trät, das Verwilde­rungswünsche wahr­schein­lich di­rekter „be­die­nen“ könn­te als die na­men­lo­se Ti­tel­fi­gur des FEUER­LÄNDERS.

Quel­le: King O‑Too ru­ler of the is­land of Ta­hi­ti, So­cie­ty Is­lands, en­gra­ving from a dra­wing by Wil­liam Hod­ges. From the ac­count of the se­cond voya­ge of Ja­mes Cook © bpk/DeAgostini/New Pic­tu­re Li­bra­ry [Bild-Nr. 700339475]