Ethnoliterarische Lesebücher Band I‑III
Alle drei Bände sind nun in einem schmucken Schuber zusammen erhältlich.
Die Verklärung von Indianern, Negern und Südseeinsulanern auf dem Hintergrund der kolonialen Greuel. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band I
“Eine sehr klangvolle, harmonische Sprache, welche sich aus etwa 400 oder 500 undeklinierbaren und unkonjugierbaren Worten zusammensetzt […]. Eine edle Einfachheit, welche die Modifikation der Töne und leidenschaftliches Gebärdenspiel nicht ausschließt, bewahrt sie vor jener so prächtigen Tautologie, welche wir den Reichtum der Sprache nennen und durch welche wir im Labyrinth der Worte die Reinheit der Wahrnehmungen und die Schnelligkeit des Urteils einbüßen. Der Tahitianer bezeichnet indes jeden Gegenstand, sobald er ihn bemerkt. Derjenige, der spricht, und derjenige, der zuhört, sind stets in Übereinstimmung.“
Philibert Commerson (1769)
Gerd Stein, Die edlen Wilden. Die Verklärung von Indianern, Negern und Südseeinsulanern auf dem Hintergrund der kolonialen Greuel. Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band I, LIT Verlag 2021, 364 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14864‑3.
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Der Blick des Fremden als ein Stilmittel abendländischer Kulturkritik. Von den Persischen Briefen im 18. bis zu den Papalagi-Reden des Südseehäuptlings Tuiavii im 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band II
“Je mehr ich über das Leben der Europäer nachdenke, desto weniger Glück und Vernunft finde ich unter ihnen. […] Ich halte es für unmöglich, daß sich dies je ändern wird, es sei denn, Ihr wolltet Euch darauf beschränken, ohne Dein und Mein zu leben, so wie wir es tun. Daher behaupte ich, daß das, was Ihr Geld nennt, der Teufel aller Teufel ist, die Quelle allen Übels, die ewige Verdammnis der Seelen und ein Grab für die Lebenden. In den Ländern des Geldes leben und keinen Schaden an der Seele nehmen zu wollen, bedeutet, sich in die Tiefe eines Sees zu stürzen, um dadurch sein Leben zu retten.“
Louis-Armand de Lahontan (1703)
Gerd Stein, Exoten durchschauen Europa. Der Blick des Fremden als ein Stilmittel abendländischer Kulturkritik. Von den Persischen Briefen im 18. bis zu den Papalagi-Reden des Südseehäuptlings Tuiavii im 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band II, LIT Verlag 2021, 246 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14865‑0.
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Der Reiz, in amerikanischen Urwäldern, auf Südseeinseln oder im Orient ein zivilisationsfernes Leben zu führen. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band III
“Eine sehr klangvolle, harmonische Sprache, welche In das patriarchalische Zeitalter möchten sich wohl viele zurückwünschen; wo die Menschen schon so weit kultiviert sind, dass die einzelnen Familien und Geschlechter schon so viel von Künsten wissen, um sich ihren Unterhalt zu sichern, auch Begriffe von Sittlichkeit und Recht und doch nicht die verwickelte Staatsverfassung haben, die bei kultivierten Völkern so manche Veranlassung zu Klagen gibt. Und wahrscheinlich wird noch in diesem Jahrhundert mancher Europäer die Glückseligkeit unter den Patriarchen von Tahiti oder auf den Pelew-Inseln suchen, die er in Europa nicht finden konnte.“
Johann Karl Christoph Nachtigal (1791)
Gerd Stein, Europamüdigkeit und Verwilderungswünsche. Der Reiz, in amerikanischen Urwäldern, auf Südseeinseln oder im Orient ein zivilisationsfernes Leben zu führen. Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Ethnoliterarische Lesebücher Band III, LIT Verlag 2021, 360 S., 24.80 EUR, gb., ISBN 978–3‑643–14866‑7.
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Gerd Stein, 1941 in Kassel geboren, Studium in Marburg, Freiburg, Berlin [Deutsch, Sport, Philosophie, Politik], 11 Jahre Wissenschaftlicher Assistent bei den Germanisten an der Freien Universität, Habilitation, dann bis 2003 an einem Gymnasium in Zehlendorf tätig. Lebt seit 2016 wieder in Kassel.
Vorschau — Band I
Galerie
Der Autor über die namenlosen Titelbilder
Band 1
Ein Anführer von Unalashka
Ein Bericht über die 3. Südseereise des James Cook war bereits 1781 druckfertig, aber die zahlreichen Zeichnungen des Expeditionsbegleiters John Webber lagerten noch in den Werkstätten mehrerer berühmter Kupferstecher. Die aufwendige Herstellung des großformatigen Bilderatlas’ sollte erste 1784 abgeschlossen sein. So ließ ein Londoner Verleger, um für die Buchausgabe 1781 wenigstens einen Blickfang mit einem Frontispiz zu haben, einen anonymen Stich anfertigen, der nun nicht auf Webbers Zeichnungen oder auf hautnahen Schilderungen, sondern nur auf folgender Textstelle des Berichts fußen konnte: »Gestalt und Farbe [der Unalashka-Indianer] wich weniger oder nichts von den Einwohnern im Georgen Sunde ab. Sie hatten aber einen Einschnitt zwischen dem Kinne und der Unterlippe, wodurch sie ihre Zunge stecken konnten. Wenn man hierzu noch die Zierraten von Kupfer und Blech nimmt, welche sie in ihren Ohren und Nasen trugen, so kann man sich keine groteskeren Figuren denken, als sie vorstellten. Demungeachtet betrugen sie sich höflich gegen uns.« ** Die kaum erwartete freundliche Zuwendung abstruser Gestalten wurde nun voller Phantasie ins Bild gesetzt - ein VERWUNSCHENBILD des edlen Wilden.
** In: Tagebuch einer Entdeckungsreise nach der Südsee in den Jahren 1776 bis 1780, unter Anführung des Capitains Cook, Clerke, Gore und King. Eine Übersetzung nebst Anmerkungen von Johann Reinhold Forster, Berlin 1781, Verlag Haude und Spener, S. 236. Noch im selben Jahr erschien in Berlin dieser Reisebericht in deutscher Sprache. Dem Kupferstecher gelang dabei eine nahezu ununterscheidbare Kopie des englischen Stiches, in: Journal of Captain Cook’s Last Voyage to the Pacific Ocean, performed in the Years 1776, 1777, 1778, 1779. London 1781, printed by Newberry (Originaltitel des Frontispiz: Ounalaschkan Chief)
Ein Hinweis:
Die Titelseite der Originalausgabe des Fischer Taschenbuch Verlages von 1984 bleibt in der vorliegenden Neuauflage unverändert. In der Reihe der Überschriften zwischen den drei Buchteilen [Indianer, Neger, Südseeinsulaner] wird es in der Neuauflage von 2021 stattdessen heißen: Indianer, Schwarze, Südseeinsulaner.
OTEGOOWGOOW – Der schönste aller verklärten edlen Wilden?
[Gehobenen Standes, durch Schüsse von Marine-Soldaten verwundet und wohl auch noch unterwürfig]
»Kurz nachdem Mr. Banks [Begleiter des James Cook] an Land gekommen war, wäre er beinahe von einem der Eingeborenen festgenommen worden, war aber glücklich entkommen. Die Marine-Soldaten schossen auf sie; fünf große Kanonen wurden vom Schiff abgefeuert und Otegoowgoow, Sohn eines ihrer Häuptlinge, wurde am Oberschenkel verwundet. Die verängstigten Eingeborenen flohen eilig zu einem Hippa, wohin unsere Leute ihnen folgten; und schließlich wurden sie sehr unterwürfig. – Sie gaben uns einige große Makrelen, die sehr delikat waren, und das war fast das einzige, von dem sie uns etwas abzugeben bereit waren.«
Band 2
Ein zivilisierter Häuptling von Neu-Pommern
Neupommern ist die größte Insel des seinerzeit zu Deutsch-Neuguinea gehörigen Bismarckarchipels. Sie wurde im Jahre 1700 von dem britischen Freibeuter William Dampier entdeckt und „Neubritannien‟ genannt. 1884 wurde der deutsche Kolonialbeamte Gustav von Oertzen kaiserlicher Kommissar für Neuguinea. 1885 taufte er die Insel in „Neupommern‟ um. 1887 fand in Matupi die Flaggenhissung und offizielle Inbesitznahme des Gebietes statt.
Am 28. Juni 1919 unterzeichnete Deutschland wider Willen den Versailler Friedensvertrag und erklärte dadurch den Verzicht auf sein überseeisches Kolonialreich. Militärisch hatte Deutschland die Kolonien bereits während des Ersten Weltkrieges an die Alliierten verloren. Der Friedensvertrag schrieb die Abtretung der Kolonien völkerrechtsgültig fest und begründete dies ethisch mit “Deutschlands Versagen auf dem Gebiete der kolonialen Zivilisation”. Dieser Vorwurf gründete vor allem auf der Gewalt, die deutsche koloniale Akteure durch Kriege und Zwangsarbeit gegen Einwohner*innen der Kolonien verübt hatten. Als Beweis dienten insbesondere Stimmen von Bewohner*innen der Kolonien, die Großbritannien im “Blaubuch” von 1918 dokumentiert hatte. Ab 1919 gehörten somit deutsche Kolonialverwaltungen mit entsprechenden Polizei- und Militärstrukturen in Afrika und Asien der Vergangenheit an. Der deutsche Kolonialismus war damit aber nicht beendet. Staatliche Kolonialpolitik, koloniales Denken und koloniale Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den kolonial beanspruchten Gebieten dauerten an. [Caroline Authaler, aus: Politik und Zeitgeschichte, 27.09.2019 (CC BY-NC-ND 3.0)]
Persische Briefe
Nachdem Montesquieu 1721 seine »Persischen Briefe« (Band 2, S. 51 ff.) anonym herausgegeben hatte, stand alsbald seine Verfasserschaft zweifelsfrei fest, und es wurde Auflage um Auflage gedruckt. Der Mummenschanz war so köstlich und fand so reißenden Absatz, daß Nachahmungen wie Pilze aus dem Boden schossen. »Mein Herr, schreiben Sie mir persische Briefe!« sollen Pariser Buchhändler ihren damaligen Skribenten geraten haben. Montesquieus Werk aber blieb bis auf den heutigen Tag unübertroffen. Die romanhafte Verknüpfung der Briefe, die Usbek und sein Freund Rica aus Frankreich in ihre Heimat schicken und von dort erhalten, führen den Absolutismus Ludwigs XIV. in seiner verachtenswerten Schrankenlosigkeit vor Augen, stellen die Abgeschmacktheit, den Schwindel, die Heuchelei und die Eitelkeit zahlloser gesellschaftlich gebilligter Verhaltensweisen bloß und eröffnen zugleich faszinierende Einblicke in orientalische Liebes- und Herrschaftsverhältnisse. Die Darstellung von Frivolität und Exotik läßt die Augen übergehen, aber keineswegs wirbt Montesquieu für jene außereuropäische Gegenwelt. Anders als Louis-Armand de Lahontan (Gespräche mit einem Wilden [1703], Band 2, S. 25 ff.) verwandelt er den Leser nicht in einen potentiellen Europaflüchtling, sondern fesselt ihn mit seiner plaudernden Kultursatire und den intim-barbarischen Nachrichten aus der Welt des persischen Harems. Und als Voyeur bleibt der Leser gleichsam standortgebunden europatreu. Montesquieu brauchte ihn ja auch noch, um seine spätere revolutionäre Theorie von der Gewaltenteilung an den Mann zu bringen. So ist denn seine gesamte Gesellschaftskritik in den »Persischen Briefen« wie auch in der Abhandlung »Über den Geist der Gesetze« wesentlich konkreter als die des Lahontan, weil sie sich das epochal erreichbare Ziel setzte, wirksame Anstöße zu geben, um das politische und kulturelle System des Absolutismus zu überwinden.
Band 3
Ein Feuerländer
Der Wunsch, auf einer niedrigen Stufe der Kultur zu leben, sich von der Zivilisation loszusagen, scheint der Reiz und der Skandal der Europamüdigkeit zu sein. J. K. C. Nachtigal kam 1791 zu dem Ergebnis, dass es sich dabei jeweils nur um graduelle Rückstufungswünsche handele, denn zu den ganz Wilden, die auf der alleruntersten Stufe der Kultur stünden, wolle offenbar keiner gehen. ** 1 Und es war seinerzeit keine Frage, dass in dieser Hinsicht die Feuerländer über die größte Abschreckungskraft verfügten — »immer einzeln, abgesondert, in einem wüsten, von Felsen und Eis starrenden Lande mit einem stieren, schüchternen Blick umherirrend«. Der allgemeine Abscheu vor den Feuerländern resultierte aus Bougainvilles und dann vor allem aus Georg Forsters Beschreibung, die er 1774 auf der Rückfahrt von der 2. Südseereise des James Cook anfertigte. Sie »hatten dicke große Köpfe, breite Gesichter, sehr platte Nasen und die Backenknochen unter den Augen sehr hervorragend; die Augen selbst waren von brauner Farbe, aber klein und matt, das Haar schwarz, ganz gerade, mit Tran eingeschmiert und hing ihnen wild und zottig um den Kopf. Anstatt des Bartes standen einige einzelne Borsten auf dem Kinn, und von der Nase bis in das häßliche, stets offene Maul war ein beständig fließender Kanal vorhanden. Diese Züge machten zusammengenommen das vollständigste und redendste Bild von dem tiefen Elend aus, worin dies unglückliche Geschlecht von Menschen dahinlebt.« Nun muss es wundern, dass der aufgeklärte Georg Forster solch massive Schlussfolgerungen aus der doch keineswegs skandalösen Faktenlage zog. Zwar waren auch sie kläglich gekleidet, nahmen unangenehm riechendes Fleisch zu sich und pflegten anscheinend keinerlei Konversation, aber auch diese Sachverhalte dürften für die scharfe Verurteilung keinen hinreichenden Grund abgeben. Um das Rätsel zu lösen, bleibt nur der folgende Punkt: »Sie schienen unsere Überlegenheit und unsere Vorzüge gar nicht zu fühlen, denn sie bezeigten nicht ein einziges Mal und nicht mit der geringsten Gebärde die Bewunderung, welche das Schiff und alle darin vorhandenen großen und merkwürdigen Gegenstände bei allen übrigen Wilden zu erregen pflegten.« ** 2 Das kränkte und wurde nicht verziehen. Hätten sie doch wenigstens verständnislos gegafft! So aber gab es am Ende des 18. Jahrhunderts keinen Zweifel über den Wert der Feuerländer: »Dem Tiere näher und mithin unglückseliger kann aber wohl kein Mensch sein«. ** 3 Eines dieser Wesen wurde von William Hodges, dem Schiffszeichner des James Cook, porträtiert, und J. Basire fertigte den Kupferstich an.
Er wurde als Titelbild für den 3. Band gewählt, weil das Konterfei des tierischsten Menschen gegen die denunziatorischen Absichten seiner Urheber zu rebellieren scheint, denn es wirkt gar nicht dermaßen abstoßend und widerlich, erheischt eher eine gewisse Sympathie und erlaubt sogar die Spekulation, dass sich Verwilderungswünsche auch dort noch untergründig durchzeichnen, wo die eigentliche Mitteilung nur in dem Schreckbild einer unkultivierten Visage bestehen soll. Georg Forster war mit der Zeichnung als einem Dokument menschlicher Schmach zufrieden und fand sie in diesem Sinne »charakteristisch«.** 4 Zwar war er im allgemeinen zu einer relativierenden Betrachtung der Eigenarten der Völker bereit, und er brachte bei weitem nicht das übliche Maß an eurozentrischer Arroganz auf, aber Feuerland war ihm zuviel: »Was die ärgste Sophisterei auch je zum Vorteil des ursprünglich wilden Lebens – im Gegensatz zur bürgerlichen Verfassung – vorbringen mag, so braucht man sich doch einzig und alleine die hilflose, bedauernswerte Situation dieser Pesseräh [Feuerländer] vorzustellen, um innig überzeugt zu werden, dass wir bei unserer gesitteten Verfassung unendlich glücklicher sind!«** 5
** 1 siehe S. 13 und S. 144 ff. im 3. Band der ETHNOLITERARISCHEN LESEBÜCHER
** 2 — 5 G. Forsters Werke, Hrsg. G. Steiner, Berlin 1966, Akademie-Verlag, Bd. 3 (S. 381 – 383)
In deutlicher Differenz, gleichwohl mit einer gewissen Ähnlichkeit, wurde auf dem Rückdeckel des 3. Bandes der ETHNOLITERARISCHEN LESEBÜCHER eine andere Zeichnung von William Hodges platziert: King O‑Too, ein Herrscherporträt, das Verwilderungswünsche wahrscheinlich direkter „bedienen“ könnte als die namenlose Titelfigur des FEUERLÄNDERS.
Quelle: King O‑Too ruler of the island of Tahiti, Society Islands, engraving from a drawing by William Hodges. From the account of the second voyage of James Cook © bpk/DeAgostini/New Picture Library [Bild-Nr. 700339475]